Interview mit Tom Klein über das Thema Organisatorische Transformation

Transcript: Transformation in der Organisationsentwicklung

Alex Wunschel: Kann man eine Organisation als Persönlichkeit betrachten und demnach auch wie eine „Person“ coachen?

Tom Klein: Für mich ist tatsächlich jede Organisation ein hochvernetzter, sich selbst regulierender Organismus – und nicht etwa eine klassische Maschine, wie wir sie aus dem 20. Jahrhundert kennen. Ein solches System kann nur begrenzt gemanagt werden, aber es reagiert auf Impulse, die man hineingibt. Diese Impulse können das System in der Hinsicht beeinflussen, dass es – etwa bei neuen Umweltzuständen – seine Überlebenschancen sichert oder sogar prosperiert. Ein System lässt sich also nicht unmittelbar coachen, aber durch Impulse lassen sich Verhaltenseffekte erzielen, die beobachtet und bewertet werden sollten. Grundlegend ist dabei, die „Geschichten“ des Systems zu erfassen. Eine Methode ist hierbei die Audiographie, mit der diese Geschichten gesammelt und intern geteilt werden können. Das System versteht sich dadurch selbst und kann fokussiert reagieren.

Alex Wunschel: …und sich schrittweise weiterentwickeln?

Tom Klein: Ja, genau. Das ist ein sehr anspruchsvoller Prozess. Zunächst verändern sich Führung und Kommunikation – in letzter Konsequenz die Prozesse und Strukturen. Das geht natürlich nicht von heute auf morgen, sondern muss über Jahre hinweg organisch und emergent wachsen.

Alex Wunschel: Ist das Mindset einer Organisation für dich Grundlage, Ausgangssituation oder Werkzeug im Transformationsprozess?

Tom Klein: Es herrschen Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Aspekten des Systems. Wie für komplexe Lebewesen typisch, kann man den Hebel aber nicht einfach irgendwo ansetzen und erwarten, damit automatisch zu einem guten Ergebnis zu kommen. Vornehmlich werden im Mindset der Führung – speziell der obersten Ebene – Ursachen dafür erzeugt, wie sich die gesamte Kultur entwickelt. Wenn eine Führungskraft oder der CEO eine bestimmte Philosophie verfolgt oder Persönlichkeitsstruktur aufweist, dann wirkt sich das eins zu eins im gesamten System aus – es findet eines Diffusion statt.

Alex Wunschel: Kannst du das an einem Beispiel erklären?

Tom Klein: Jemand, der extrem kontrollierend ist, wird eine Angst-Kultur produzieren. Selbst Menschen, die eigentlich wenig Angst haben, werden diese Ängste aufnehmen und entsprechend reagieren, um sich reibungslos in die Gruppe einzufügen. Wenn eine Führungskraft Vertrauen ausstrahlt, dann ist das auch im System spürbar – denn die Mitarbeiter stehen in Resonanz zum Chef. Sie werden gesehen, bestärkt und honoriert; und sind dadurch motivierter und effizienter. Eine Kultur kann man allerdings nicht von heute auf morgen verändern. Man muss kontinuierlich mit dem Mindset der Führungskräfte arbeiten – und sie mit sich selbst. Werden die Veränderungen durch die Mitarbeiter wahrgenommen, sollten sie diese nach oben zurückmelden. Die Führungskraft muss diesen Schritt unbedingt auch annehmen und honorieren wollen. Tut er das, entsteht ein reicher, komplexer Prozess, einen gemeinsamen Weg zu finden.

Alex Wunschel: Das Individuum selbst ist also ein Erfolgsfaktor im Rahmen des organisatorischen Transformationsprozesses. Wie können Mitarbeiter Freude an einer Transformation gewinnen? Denn – Transformation bedeutet ja erstmal Veränderung.

Tom Klein: Eine Veränderung macht uns Spaß, wenn wir dafür Anerkennung ernten – und wenn wir sehen, dass sie wirksam ist. Die Führung und die Teams stimmen sich auf ihre Selbstwirksamkeit ein. Idealerweise bekommen die Teams die nötigen Befugnisse und das methodische Know-how, selbständig agieren zu können. Wenn die Mitarbeiter erleben, dass sie ihr Schicksal in die eigene Hand nehmen können und dadurch entspannter, sozial verbundener oder erfolgreicher werden, dann empfinden sie Spaß an der Transformation. Man kann ein solches Verhalten nicht von oben oder außen verordnen, aber man kann Rahmenbedingungen schaffen und Ressourcen bereitstellen, damit sie die entscheidenden Schritte gehen können.

Alex Wunschel: Was ist der Unterschied zwischen Resilienz und Transformation?

Tom Klein: Resilienz ist die Fähigkeit, wieder aufzustehen, wenn man hingefallen ist. Bis zuletzt haben wir uns in einer Beschleunigungsfalle befunden. Wir haben zu viel gemacht – und das auch noch gleichzeitig und ohne uns zu erholen. Viele Menschen litten darunter, einige trieb es in den Burnout. Daher hat sich ein Großteil der Bemühungen im Personalbereich darauf konzentriert, Menschen resilienter gegen diese Bedingungen zu machen, sie so zu unterstützen, dass sie den Druck besser aushalten können und den Burnout vermeiden. Waren sie schon hingefallen, unterstützte man sie, in die Arbeitswelt – und damit in die altbekannte Tretmühle – zurückkehren.

Alex Wunschel: Und wie ist es heute?

Tom Klein: Heute geht es nicht mehr um Resilienz. Denn die Welt, in die wir zurückkehren könnten, gibt es nicht mehr. Wer trotzdem an dem Konzept festhält, läuft in die falsche Richtung – denn er richtet sich an Bedingungen aus, die passé sind. Transformation beschreibt den Entwicklungsprozess, der stattfindet, nachdem wir losgelassen haben. Um es bildlich auszudrücken: Wir fallen hin, versuchen aber nicht, im alten Sinne wieder aufzustehen – vielmehr schauen wir, ob wir nicht schwimmen oder fliegen könnten. Ist das der Fall, betreten wir die neue Welt.

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